In der heutigen IT-Branche sind Soft Skills wie Kommunikationsfähigkeiten, Teamarbeit und emotionale Intelligenz entscheidend für den Erfolg. Technisches Know-how allein reicht nicht aus, um in der Softwareentwicklung zu glänzen. Dieser Artikel beleuchtet die Bedeutung von Soft Skills für Programmierer und zeigt auf, wie sie die Karriere fördern können.

Pierluigi verfügt über mehr als 20 Jahre Erfahrung in der IT-Branche – vom IT-Studenten über die Softwareentwicklung bis hin zu Führungspositionen. Früh erkannte er, dass Soft Skills entscheidend für Projekterfolg und berufliches Wachstum sind. Er ist Mitgründer von Utterskills – einer Online-Akademie mit Videokursen.
In der schnelllebigen Welt der Technologie ist es leicht, sich vom neuesten Hype mitreißen zu lassen – ob es sich nun um KI, Blockchain oder „das nächste große Ding“ handelt. Trotz des rasanten technologischen Fortschritts sind die Erfolgsquoten von IT-Projekten in den letzten 20 Jahren jedoch erstaunlicherweise stagniert. Und warum? Weil auch Technologie letztlich ein „People Business“ ist.
In diesem Artikel befassen wir uns mit der oft übersehenen, aber essenziellen Rolle von Soft Skills bei der Förderung einer nachhaltigen digitalen Transformation und des persönlichen Karrierewachstums. In der Tat liegt der Schlüssel zum Erfolg in der Technologiebranche paradoxerweise in der Entwicklung von Fähigkeiten jenseits des Codes.
Der Kult der Technologie
Wann haben Sie das letzte Mal eine Technologiekonferenz besucht? Vorbei sind die Zeiten, in denen dort nerdige Tüftler über Hacks und Tweaks für ihre eigene Soft- und Hardware sprachen und sich mit verrückten Gadgets vom Mainstream abhoben. Heute ist die Szene wagemutig, voller Selbstbewusstsein und präsentiert sich als Spektakel. Es gibt inszenierte Shows mit Moderator:innen, DJs, Lasern und Attraktionen – Konferenzen sind Events. Im Gegensatz zu anderen Veranstaltungen stehen jedoch weniger die Menschen als vielmehr die Technologieanbieter und ihre Hypes selbst im Mittelpunkt. Der aktuelle Hype: KI – natürlich.
Aber seien wir realistisch: Tech-Hypes ändern sich so schnell wie Modetrends. Wer erinnert sich nicht an die Hypes um IoT, Big Data, Microservices, serverlose Architektur, No-Code-Plattformen oder Blockchain? Im Moment dreht sich alles um KI. Bei jedem neuen Trend wirft die Tech-Welt selbstbewusst mit Begriffen wie innovativ, bahnbrechend, revolutionär, nächste Generation, visionär und disruptiv um sich. Sprecher:innen behaupten enthusiastisch, dass diese oder jene neue Technologie die Art und Weise verändern wird, wie wir arbeiten, interagieren, lernen und leben.
Nun besteht sicherlich kein Zweifel daran, dass die Technologie unser Leben tiefgreifend beeinflusst, aber ihre Verherrlichung kann doch ein wenig übertrieben sein. Die Branche betrachtet Technologie zunehmend als Selbstzweck und verspricht, alles einfacher, schneller und besser zu machen. Die Werbung ist einfach: „Man muss nur ein wenig Konfigurationsarbeit leisten“ und schon wird die Technik optimale, wenn nicht bahnbrechende Lösungen für das Unternehmen generieren. Das mag für Außenstehende hochtrabend klingen, aber bestimmt auch irgendwie magisch und inspirierend. Es ist aber, offen gesagt, auch gefährlich. Denn wer solche Konferenzen voller Euphorie verlässt und glaubt, dass sich Erfolg und Veränderung mit etwas Geld und Technik auf Knopfdruck erkaufen lassen, wird bald von der harten Realität des IT-Projektgeschäfts auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt.
Zahlen lügen nicht
Es gibt inzwischen viele Studien über die Erfolgsquoten von IT-Projekten. Eine der bekanntesten ist die CHAOS-Studie der Standish Group, deren aktuelle Ergebnisse in Abbildung 1 dargestellt werden [1]. In dieser Studie werden jedes Jahr Tausende von IT-Projekten weltweit untersucht und in drei Kategorien unterteilt:
- Erfolgreich: Projekte werden frist- und budgetgerecht abgeschlossen.
- Teilweise erfolgreich: Projekte werden entweder pünktlich oder budgetgerecht abgeschlossen.
- Nicht erfolgreich: Projekte werden abgebrochen oder weder im Zeit- noch im Budgetrahmen abgeschlossen.
Wie würden Sie den Erfolg von IT-Projekten einschätzen? Aktuelle Zahlen zeigen, dass Projekte in etwa 30 Prozent aller Fälle als erfolgreich eingestuft werden können, während etwa 50 Prozent aller Projekte in Frage gestellt werden und 20 Prozent scheitern. Oder anders ausgedrückt: In 70 Prozent der Fälle erhält der Kunde nicht das, was ursprünglich versprochen wurde. Das sind ziemlich schlechte Zahlen für eine Branche, die mit Ergebnissen wirbt, die angeblich bahnbrechend, innovativ und revolutionär sind. „Wir führen das Projekt durch, aber es besteht eine 70-prozentige Chance, dass es viel teurer wird als erwartet, oder dass Sie nicht das bekommen, was Sie wollten.“ Stellen Sie sich solch geringe Erfolgschancen in anderen Branchen vor, etwa in der plastischen Chirurgie!
Obige Frage stelle ich IT-Fachleuten während meiner Vorträge regelmäßig – und die Antworten sind verblüffend. Die Frage nach den Erfolgschancen von IT-Projekten beantworten die Zuhörer ganz selbstverständlich mit „zwischen 10 und 30 Prozent“, was von den übrigen Zuhörern zumeist mit Kopfnicken quittiert wird. Solche Erfolgsaussichten werden als völlig normal empfunden und Sätze wie: „Das wird viel teurer als veranschlagt“ oder „Der Termin kann nicht gehalten werden“ gehören zum üblichen Arbeitsalltag.

Aber es wird noch grotesker: Die CHAOS-Studie wird seit Mitte der 1990er Jahre erstellt. Und wenn man sich die letzten 20 Jahre genauer anschaut, sieht man, dass sich die Ergebnisse trotz einiger Ausreißer bei den heutigen Zahlen eingependelt haben. Die Trendlinien der letzten 20 Jahre sind fast horizontale Geraden. Das bedeutet, dass sich die Qualität von Softwareprojekten in den letzten 20 Jahren kaum verändert hat. Ich wiederhole: Die Qualität der Ergebnisse hat sich in den letzten 20 Jahren kaum verändert, obwohl die Technologie jedes Jahr besser wird. Nach den Ergebnissen dieser Studie scheint die Technologie selbst wenig bis keinen Einfluss auf die Ergebnisqualität von IT-Projekten zu haben. Und wir dachten, der technologische Erlöser käme, um uns alle zu retten! Glauben Sie mir: Das wird nicht passieren. Paradoxerweise führt eine Überbetonung der Technologie zu schlechteren technologischen Ergebnissen.
Eine Bedrohung für die digitale Transformation
Die Zahlen der CHAOS-Studie sind ziemlich ernüchternd – insbesondere für eine Branche, die sich rühmt, über die hellsten Köpfe zu verfügen und die Zukunft der Welt zu definieren. Wir befinden uns noch mitten im Zeitalter der digitalen Transformation. Digitale Prozesse und Produkte lösen nach und nach die alte analoge Welt ab. Doch die Grundlagen, die wir derzeit für unsere digitale Zukunft legen, stehen auf wackligen Beinen (Abb. 2).

Wir stellen uns einmal ein typisches venezianisches Haus vor, das in einem Kanal gebaut und von Wasser umgeben ist. Solche Häuser stehen auf Holzpfählen, die als Fundament für das Haus dienen. Symbolisch für die IT-Branche: Statistisch gesehen sind 70 Prozent der Fundamente bereits baufällig, bevor der erste Stein des künftigen Hauses überhaupt gelegt wurde. Fragen Sie sich selbst: Wie sehr würden Sie dort investieren und leben wollen? Solche Zahlen regen zum Nachdenken an und wir müssen uns ernsthaft fragen, wie wir diese Situation verbessern können.
Auch Technik ist ein „People Business“ – das Defizit an Soft Skills
In der CHAOS-Studie wurden auch an den IT-Projekten beteiligte Personen befragt, um die Hauptursachen für Projekthindernisse zu ermitteln. Zu den am häufigsten genannten Problemen gehören schlechte Kommunikation, unvollständige und sich ändernde Anforderungen, unzureichende Planung, unrealistische Erwartungen, Missverständnisse, schwache Teamarbeit und eine unzureichende Einbeziehung der Nutzer. Bemerkenswert ist, dass keine dieser Herausforderungen direkt mit Technologie zusammenhängt. Stattdessen drehen sie sich um Kommunikation, Soft Skills und effektives Prozessmanagement. Die Kernprobleme sind menschlicher, nicht technischer Natur. Das könnte erklären, warum die Fortschritte in der Technologie die Erfolgsquote von Projekten nicht wesentlich verbessert haben.
Im Mittelpunkt eines jeden Projekts stehen Menschen, die mit Menschen zusammenarbeiten, um die Probleme anderer Menschen zu lösen. Kunden kaufen keine Technologie, sie kaufen Lösungen. Technologie ist lediglich ein Werkzeug zur Umsetzung dieser Lösungen, kein Selbstzweck. Diese grundlegende Wahrheit wird jedoch allzu oft übersehen.
Leider gibt es in der Tech-Branche einen erheblichen Mangel an Soft Skills. Der Bericht „Workforce Skills Gap Trends 2024“ stellt fest, dass speziell in der Tech-Branche über 73 Prozent der Führungskräfte und Personalverantwortlichen einen Mangel an Soft Skills beklagen (etwa Kommunikation, kritisches Denken und die Fähigkeit, diese Bedenken zu äußern) [2]. Aber woher kommt diese Lücke? Die einfachste Erklärung könnte in dem Vorurteil liegen, dass IT-Spezialist:innen, die oft als „Nerds“ bezeichnet werden, ganz einfach sozial unbeholfen sind. Diesem gängigen Klischee begegnet man im täglichen Leben. Ich glaube jedoch, dass das Problem komplexer ist. Wir sollten uns jedenfalls nicht mit dieser vereinfachten Erklärung zufriedengeben. Erstens kann man nicht einfach bestimmte Fähigkeiten von jemandem erwarten, der vielleicht nie die Gelegenheit hatte, diese angemessen zu erlernen.

Traditionelle Ausbildungs- und Studiengänge sind stark auf harte, theoretische Prinzipien und Programmierkenntnisse ausgerichtet. Wie Abbildung 3 zeigt, ist es nicht ungewöhnlich, dass diese Programme wenig bis gar keine Schwerpunkte auf Soft Skills, Geschäftssinn oder menschenzentrierte Kompetenzen legen. Überdies werden auch Schulungsbudgets von Unternehmen häufig für die Teilnahme an den oben erwähnten Tech-Konferenzen ausgegeben, bei denen in der Regel weniger als 10 Prozent der Vorträge Themen abseits des Programmierens behandeln. Während Programmierkurse auf verschiedenen Lernplattformen in Hülle und Fülle angeboten werden, sind spezielle Kurse für IT-Fachleute, die sich mit Fähigkeiten jenseits des Codes beschäftigen, äußerst selten. Das wirft eine Frage auf: Woher sollen diese wesentlichen Fähigkeiten kommen?
Zweitens mangelt es laut dem Bericht „Workforce Skills Gap Trends 2024“ an kritischem Denken, insbesondere in Bezug auf Geschäftsanforderungen. IT-Fachleute werden oft dafür kritisiert, dass sie sich nicht mit dem Tagesgeschäft ihres Unternehmens oder ihrer Abteilung befassen. Aus eigener Erfahrung kann ich diese Behauptung nachvollziehen, und es ist ein echter Missstand, den ich nicht beschönigen möchte. Um dieses Manko jedoch wirklich anzugehen und zu verbessern, ist noch eine genauere Untersuchung erforderlich.
Wie bereits erwähnt, fehlt in der technischen Ausbildung und in den Studiengängen oft eine realistische wirtschaftliche Perspektive. Softwareentwickler:innen werden jahrelang darauf trainiert, die besten, schnellsten, effizientesten und klügsten Lösungen für Probleme zu entwickeln. Diese Fähigkeiten werden in der Forschung hochgeschätzt, sind aber nicht immer mit der Realität der Geschäftswelt zu vereinbaren. In der Wirtschaft diktieren Zwänge wie Zeit, Budget und Kundenanforderungen die Entscheidungsfindung. Oft geht es darum, unter schwierigen Umständen Kompromisslösungen zu finden, wobei manchmal sogar auf „Quick and Dirty“-Methoden zurückgegriffen wird, solange das Ergebnis den erforderlichen Standards entspricht.
Das widerspricht dem Wesen von Softwareentwickler:innen und führt oft dazu, dass der Kunde und seine Anforderungen in ihren Augen als Feind angesehen werden, der einer „richtigen und sauberen“ Lösung im Weg steht. Viele Fachleute haben das Gefühl, dass sie ihre Standards verletzen müssen, was zu Unzufriedenheit führt, da ihre Arbeit nicht dem hohen Niveau entspricht, für das sie ausgebildet wurden. Diese Diskrepanz kann zu einer frustrierenden Erfahrung werden.
Was kann ein Unternehmen also tun, um diese Situation zu verbessern? Schauen wir uns zwei Schlüsselstrategien an:
- Erweitern Sie die Kompetenzentwicklung über den Code hinaus: Viele Fähigkeiten jenseits des Programmierens, einschließlich der Soft Skills, können erlernt und kultiviert werden – oft hat das weniger mit angeborenem Talent oder Persönlichkeitstyp zu tun, als man annehmen könnte. Wenn es in diesen Bereichen Lücken gibt, müssen proaktive Maßnahmen ergriffen werden, um sie zu schließen. Entsprechende Schulungen und Kurse sind überall verfügbar; z. B. zu wichtigen Themen wie Kommunikation (mündlich, schriftlich, grafisch, nonverbal und insbesondere Kommunikation bzgl. technischer Themen für ein nichttechnisches Publikum), Zusammenarbeit, Feedback und Konfliktmanagement, soziale Kompetenz und Arbeitsethik. Anstatt Entwickler:innen auf eine weitere Konferenz zu schicken, die mit idealistischen Präsentationen und weit hergeholten Prototypen gefüllt ist, wäre es klüger, das Budget für Entwicklerschulungen in den Aufbau von Fähigkeiten zu investieren, die über den Code hinausgehen.
- Integrieren Sie Geschäftssinn in die Entwicklung: Softwareentwickler:innen sollten sich mit betriebswirtschaftlichen Konzepten auskennen und auf wirtschaftliche Überlegungen eingestellt sein. Dazu gehört das Verständnis von Corporate Identity, Geschäftsmodellen, Wertversprechen, Customer Journeys und Tech Ownership. Ein grundlegendes Verständnis von Budgetierung ist ebenfalls von Vorteil. Dies sollte jedoch auf Gegenseitigkeit beruhen: Entwickler:innen müssen sich nicht nur in der Geschäftswelt auskennen, sondern auch der Rest des Unternehmens sollte die Komplexität der Softwareentwicklung anerkennen. Programmieren ist eine spezialisierte Disziplin, die von hochqualifizierten Fachleuten ausgeübt wird. Anstatt als bloße Nerds abgetan oder nur als Programmierdienstleister:innen gesehen zu werden, sollten Softwareentwickler:innen als Experten anerkannt und frühzeitig in Entscheidungs- und Problemlösungsprozesse eingebunden werden.
Die Wahrscheinlichkeit, dass diese vermeintlich „schüchternen“ oder „unbeteiligten“ Softwareentwickler:innen bei Unternehmensbesprechungen die klügsten Köpfe im Raum sind, ist hoch. Es ist unklug, ihre Expertise nicht voll auszuschöpfen. Unternehmen, die diese Köpfe nur zum Programmieren einsetzen, verschenken eine Menge Potenzial und vor allem viel Geld. Warum nicht das volle Potenzial nutzen, indem man Defizite bei den Soft Skills durch Schulungen beseitigt und die Entwickler:innen stärker in den Prozess einbindet?
Auswirkungen auf das berufliche Fortkommen
In der Technologiebranche geht es trotz der Konzentration auf hochmoderne Werkzeuge und Innovationen vor allem um Menschen. Die Software, die wir entwickeln, soll echte Probleme für echte Menschen lösen. Ohne diese Notwendigkeit hätte das Schreiben von Code keinen Sinn. Letztlich geht es bei unserer Arbeit um Geschäft, Geld und menschliche Interaktion. Software ist zwar wichtig, aber nur ein Mittel zum Zweck – ein Werkzeug zur Bewältigung realer Herausforderungen. Wenn man sich zu sehr auf die Technologie selbst konzentriert, läuft man Gefahr, in der Technologiebranche, die ein ganzheitliches Verständnis und einen kollaborativen Ansatz für die Lösung komplexer menschlicher Probleme erfordert, nur als Dienstleister:in wahrgenommen zu werden.
In unserem Unternehmen haben wir umfangreiche Untersuchungen durchgeführt und hunderte von erfahrenen Fachleuten aus der gesamten Branche befragt – Entwickler:innen, CTOs, Manager:innen und Architekt:innen. Wir haben sie nach ihren Tipps, Geheimnissen und Karrierehacks gefragt und danach, welche Ratschläge sie ihrem jüngeren Ich geben würden. Dabei kristallisierte sich ein gemeinsames Thema heraus: Interessanterweise waren sich alle Expert:innen darin einig, dass exzellente Programmierkenntnisse zwar notwendig, aber auch sehr verbreitet seien und damit nichts Besonderes und nicht annähernd ausreichend sind. Um sich allein durch technische Fähigkeiten hervorzutun, muss man ein:e außergewöhnliche:r Programmierer:in sein, was in einer Welt voller talentierter Fachkräfte immer schwieriger wird. Was Fachleute jedoch wirklich auszeichnet, ist die Beherrschung von Fähigkeiten jenseits des Codes. Viele unserer Gesprächspartner:innen zeigten sich schockiert darüber, wie oft junge Fachkräfte und sogar viele erfahrene Entwickler:innen nicht für Führungspositionen in Betracht gezogen werden – oder selbst für Positionen, in denen sie nur mitsprechen dürfen –, weil es ihnen an den Soft Skills mangelt, die für einen effektiven professionellen Umgang erforderlich sind. Erfolgreiche Karrieren erfordern auch Prozesswissen, Geschäftssinn und die richtige Einstellung.
Trotzdem wird die Bedeutung von Fähigkeiten, die über den Code hinausgehen, unter Softwareentwickler:innen nicht allgemein anerkannt. Das zeigt sich in Lebensläufen, Vorstellungsgesprächen, Beförderungsanträgen und auch in der Unterrepräsentation dieser Fähigkeiten auf Tech-Konferenzen. Unter Teamleiter:innen und Personalverantwortlichen ist der Bedarf an diesen Fähigkeiten jedoch dringender denn je. Man beachte die folgenden Statistiken aus dem iCIMS-Einstellungsbericht [3]:
- 94 Prozent der Personalverantwortlichen sind der Meinung, dass Mitarbeiter:innen mit stärkeren Soft Skills eher befördert werden als Mitarbeiter:innen mit mehr Erfahrungsjahren, aber schwächeren Soft Skills.
- 75 Prozent derselben Personalverantwortlichen geben auch an, dass sie ein Vorstellungsgespräch abbrechen würden, wenn die Bewerber:in nicht über die für die Stelle erforderlichen Soft Skills verfügt, auf die sie sich beworben hat.
Angesichts dieser Zahlen kann man sagen: keine Soft Skills, keine Karriere. Allerdings sind viele Softwareentwickler:innen oftmals gar nicht besonders daran interessiert, die Karriereleiter zu erklimmen. Ihr Hauptaugenmerk liegt häufig auf der Entwicklung guter Software und der Entfaltung ihres Potenzials als Einzelkämpfer:innen. Viele werden durch das romantische Bild von Softwareingenieur:innen in Filmen angezogen, in denen Entwickler:innen als einsame Genies dargestellt werden, die Systeme hacken oder mit ihren piepsenden Laptops die Welt retten. In Stellenbroschüren wird oft die Verlockung betont, von zu Hause aus, in einem Café oder sogar am Strand zu arbeiten. Diese Szenarien gibt es zwar, aber sein berufliches Glück davon abhängig zu machen, ist so, als wollte man nur wegen des Torjubels und der Siegerehrung Profisportler:in werden. Die Realität im Leben einer Profisportler:in ist geprägt von Aufopferung und harter Arbeit, wobei die Höhepunkte nur ein kleiner, aber wichtiger Teil der Reise sind. Genauso ist das Programmieren – und insbesondere das Programmieren „wie im Film“ – nur ein Aspekt des täglichen Lebens von Softwareentwickler:innen.
Laut dem „Global Code Time Report“, in dem die Programmiergewohnheiten von über 250 000 Softwareentwickler:innen weltweit analysiert wurden, verbringen Entwickler:innen durchschnittlich nur 52 Minuten pro Tag mit dem Programmieren – also etwa 4 Stunden und 21 Minuten während einer typischen Arbeitswoche. Das bedeutet, dass das Programmieren statistisch gesehen nur 11 Prozent der täglichen Arbeit professioneller Softwareentwickler:innen ausmacht.
In einer anderen Studie von Reclaim.ai wird berichtet, dass Berufstätige im Durchschnitt mehr als die Hälfte ihrer Arbeitswoche (53 Prozent) in Meetings verbringen [4]. Und was tun sie dort? Richtig: Mit anderen Menschen interagieren, wobei ihnen ihr Programmiergenie nicht viel helfen wird. Klingen 53 Prozent nicht übertrieben? Denken Sie doch einmal an die verschiedenen Arten von Besprechungen, an denen Sie teilnehmen: Tagesabläufe, Planungen, Koordinierungen, Brainstormings, Überprüfungen, Retros, Verfeinerungen, Teamorganisation, Notfälle, Leistungsüberprüfungen, Einzelgespräche, Kundenbesprechungen, Firmenbesprechungen, Onboardings … und so weiter. Das alles summiert sich am Ende und kostet viel Zeit und Nerven (vor allem introvertierte Menschen), wenn es an sozialer Kompetenz mangelt. In diesem Fall könnte man unseren obigen Slogan etwas abwandeln und sagen: keine Soft Skills, keine schöne Karriere.
Der wichtigste Ratschlag
Die Beherrschung von Fähigkeiten wie Kommunikation, Zeitmanagement und Zusammenarbeit ist nicht so schwierig wie es scheinen mag – sie können erlernt werden. Der Schlüssel zum Erfolg liegt in Ihrer Einstellung: Gehen Sie an neue Herausforderungen heran, weil Sie es müssen, oder weil Sie es wollen? Diese Unterscheidung kann darüber entscheiden, ob Sie Erfolg haben und ob Sie aufnahmefähig sind oder nicht. Mein wichtigster Rat ist: Erkennen und nutzen Sie Ihre eigenen Einflussmöglichkeiten auf Ihre Handlungen und Entscheidungen.
Frustration unter Entwickler:innen entsteht oft durch Szenarien wie diese: „Wir haben getan, was der Kunde wollte, obwohl wir wussten, dass es nicht funktionieren würde“ oder „Wir haben die Anweisungen des Product Owner befolgt, obwohl wir damit nicht einverstanden waren“. Solche Situationen entstehen, wenn Fachleute zulassen, dass andere ihnen vorgeben, wie sie ihre Arbeit zu machen haben. Stellen Sie sich einen Arzt vor, der einem Patienten erlaubt, den Verlauf der Behandlung zu diktieren, oder einen Mechaniker, der sich bereit erklärt, einen Motor mit Klebeband zu reparieren, nur weil der Kunde das wünscht. Wenn Sie sich von jemand anderem vorschreiben lassen, wie Sie Ihre Arbeit zu tun haben, sind Sie per Definition kein Experte mehr. Den Expertenstatus erhält man nicht, nur weil man etwas auf dem Papier gut kann. Sie müssen sich diesen Status verdienen, indem Sie für Ihr Fachwissen einstehen, es vermitteln und fundierte Entscheidungen treffen. Handeln Sie also wie ein:e Expert:in und übernehmen Sie die Kontrolle. Softwareentwicklung ist eine Expertenleistung und keine Dienstleistung, bei der man einfach nur Anweisungen befolgt.
Je mehr Sie Ihr Handwerk verteidigen und sagen: „Nein, das ist nicht der beste Ansatz“, und gleichzeitig bessere Alternativen vorschlagen, die auf einem tiefen Verständnis der Kundenbedürfnisse beruhen, desto wahrscheinlicher ist es, dass Sie unangenehme Dinge nicht mehr implementieren müssen, weniger technische Schulden produzieren und mehr Spaß an Ihrer Arbeit haben werden. Abbildung 4 visualisiert die Einflussmöglichkeiten von Programmierer:innen.

Konzentrieren Sie sich daher nicht nur auf die Umsetzung – das Wie –, sondern engagieren Sie sich voll und ganz im gesamten Prozess. Technische Verantwortung bedeutet, dass Sie zu Ihrer Arbeit stehen, die Ergebnisse selbstbewusst vertreten und Entscheidungen mit Integrität treffen können. Das erfordert eine aktive Beteiligung, aufmerksames Zuhören und eine klare Kommunikation mit allen Beteiligten. Die Entwicklung ausgeprägter Soft Skills ist für das Erreichen beruflicher Erfüllung und Erfolg unerlässlich.
Abschließende Überlegungen
Wissen Sie, was mich noch immer erstaunt? Es ist eigentlich völlig untypisch – gerade für Entwickler:innen –, dass man, obwohl man es dank der Ergebnisse der CHAOS-Studie besser weiß, den größten Hebel zur Effizienzsteigerung nicht anpackt: die Entwicklung von Fähigkeiten jenseits des Codes. Es ist üblich, dass Entwickler:innen viel Zeit in Meetings verbringen, mit verschiedenen Interessengruppen zusammenarbeiten und sich in Kunden hineinversetzen. Diese Tätigkeiten sind integraler Bestandteil ihrer Aufgaben. Doch anstatt sich in diesen Bereichen zu verbessern, beobachte ich häufig eine Art Widerstand – fast schon Ablehnung – gegen die Entwicklung von Soft Skills und die Teilnahme an Workshops. Das Wort „Meeting“ ist in Entwicklerkreisen fast schon ein Schimpfwort. Aussagen wie „Bitte laden Sie mich nicht zum Meeting ein; ich muss arbeiten!“ veranschaulichen eine weit verbreitete Einstellung – oder vielleicht ein Trendverhalten – unter Entwickler:innen.
Es scheint aber auch aus Unternehmenssicht am Willen zur Schulung von Entwickler:innen in diesen wichtigen Bereichen und ihrer umfassenderen Einbindung in den Gesamtprozess zu mangeln. Entwickler:innen werden oft nur als Programmierdienstleister behandelt, was angesichts des ungenutzten Potenzials bei der Förderung dieser umfassenderen Fähigkeiten eine verpasste Chance ist.
Gleiches gilt übrigens auch für die Karriereaussichten. Wenn Statistiken wie die der „Workforce Skills Gap Trends 2024“ zeigen, dass 73 Prozent aller IT-Fachkräfte auf dem Arbeitsmarkt nicht über die erforderlichen Fähigkeiten jenseits des Codes verfügen, dann bedeutet das auch (aus individueller Sicht), dass Sie 73 Prozent der Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt leicht hinter sich lassen könnten, wenn Sie Ihre Ausbildung im Bereich der Soft Skills weiterführen, anstatt eine weitere kurzlebige Programmiersprache zu lernen. Ich kann mir keinen wirksameren Hebel vorstellen, um die eigene Karriere zu beschleunigen und zu verbessern.
Man kommt an diesem Thema nicht vorbei, zumal die KI immer mehr in die tägliche Entwicklungsarbeit eindringt und immer mehr Programmieraufgaben automatisiert. Das Weltwirtschaftsforum bekräftigt dies in seinem Bericht über die „Zukunft der Arbeitsplätze“ [5]: „Während Maschinen und Algorithmen viele sich wiederholende Aufgaben automatisieren können, werden Jobs, die menschliche Fähigkeiten wie Kreativität, Zusammenarbeit, Kommunikation, Problemlösung und Empathie erfordern, weiter zunehmen. Soft Skills unterscheiden uns grundlegend von der künstlichen Intelligenz, weshalb mit der Weiterentwicklung dieser fortschrittlichen Technologien auch die Nachfrage nach Soft Skills steigt.“
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass mit dem technologischen Fortschritt die Bedeutung der Entwicklung von Soft Skills neben technischem Fachwissen noch weiter zunehmen wird und in naher Zukunft ein entscheidender Erfolgsfaktor sein könnte. Wenn man sich auf diesen Wandel einlässt, kann man ein immenses Potenzial freisetzen – sowohl für die individuelle Laufbahn als auch für Unternehmen.
Links & Literatur
[1] https://standishgroup.myshopify.com
[2] https://www.springboard.com/blog/business/skills-gap-trends-2024/
[3] https://www.forbes.com/sites/lisaroepe/2017/08/18/why-soft-skills-will-help-you-get-the-job-and-then-promoted/
[4] https://reclaim.ai/blog/productivity-report-one-on-one-meetings
[5] https://www.coorpacademy.com/en/blog/learning-innovation-en/the-top-soft-skills-to-develop-by-2027-future-of-jobs-world-economic-forum-2023-report/